Eingabehilfen öffnen

Skip to main content

Reisen (Hans-Albrecht Pflästerer)

Reisen

Bild eines Meteoraklosters in GriechenlandEs gibt viele kluge Zitate über das Reisen. Zum Beispiel von dem Publizisten Christoph Henning: „Das moderne Reisen hat wesentliche Funktionen der traditionellen Feste übernommen. Es schafft vorübergehend einen Raum, in dem ganz andere Regeln und Verhaltensweisen gelten als im Alltag.” Oder diese orientalische Weisheit: „Wenn du für dein Glück sorgen willst, so ändere oft deinen Aufenthalt, denn die Süßigkeit des Lebens besteht im Wechsel – stehendes Wasser wird faul.” Die Einsicht, dass Tourismus wie ein Feuer ist, mit dem man seine Suppe kochen, aber auch sein Haus abbrennen kann, verdanken wir asiatischem Wissen.

„Reisen ist heute die populärste Form von Glück”, schrieb Sigismund von Radecki bereits vor einem halben Jahrhundert. Und der Reiseschriftsteller Ilija Trojanow spitzt zu: „Es gibt kein Glück für den Menschen, der nicht reist.” Gern hilft die Tourismusbranche diesem Glück auf, versucht, die Träume und Wünsche der Menschen unserer Zeit zu erlauschen und die Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass sie sich in den Ferien verwirklichen lassen. Die Erfolgskurve ist ungebrochen.

Die Träume und Sehnsüchte, die Menschen auf den Weg bringen, haben mit Wandlungen und Verwandlungen zu tun: mit der Suche „nach Entfaltungsmöglichkeiten, nach heiler Natur und einem sinnvollen Leben. Von da leitet sich eine tiefe Verbindung her zwischen Reisen und Religion. Wer reist, ist auf Erfahrungen aus, die sich von den Zwängen und dem Termindruck des Alltags unterscheiden. Spielerisch und auf Zeit wird ein anderes Leben ausprobiert”, vermutet der badische Akademiedirektor Klaus Nagorni.

Reisen verändert Leib und Seele. Urlaub ist Aufbruch zur Suche nach Glück und schönen Erlebnissen. Mit Urlaub und Erholung verbinden Menschen Wünsche und Sehnsüchte nach Heilsein, Ganzheit, Freiheit und Erlösung.

Reisen ist Suche nach dem nicht gelebten Leben, Realisierung des aus dem Alltag Ausgeschlossenen. „Warum reisen wir?”, fragt Max Frisch, und gibt selbst die Antwort: „Damit wir Menschen begegnen, die nicht meinen, dass sie uns kennen ein für alle Mal; damit wir noch einmal erfahren, was uns in diesem Leben möglich ist – es ist ohnehin schon wenig genug.”

Spielerisch und auf Zeit wird ein anderes Leben ausprobiert. In einer Unterbrechung des Alltags, in der der Mensch sich ansatzweise zu sich selbst befreit und zugleich für Gott und seine Schöpfung geöffnet erlebt. Dabei bleibt im Blick, dass die ersten Reisenden Pilger waren, unterwegs zu religiösen Zielen, und dass, wer reist, am Beginn eigener, mitunter abenteuerlicher Erfahrungen steht. Und dass die Bibel – auch – ein Reisebuch ist, von der Vertreibung Adams und Evas aus dem Paradies über die Aufforderung an Abraham, aus seinem Vaterhaus zu gehen in ein Land, das Gott ihm zeigen wird, bis zum himmlischen Jerusalem als dem Ziel der Reise.

Hans-Albrecht Pflästerer

Für die Nachdruckgenehmigung bedanken wir uns beim Autor und der Zeitschrift JS.